Wir leben in unübersichtlichen und unsteten Zeiten.* Gesellschaftsordnungen, internationale Beziehungen, Digitalisierung der Arbeit, Selbstoptimierung; Auflösung tradierter Geschlechter- und Rollenbilder: alles ist im Fluß. Es gibt keine Gewißheiten mehr.
Bis auf eine: longlife-Intervalle sind des Teufels.
Die vorgeschriebenen Ölwechselintervalle sind ausnahmslos alle viel zu lang, wer seinem Auto was gutes tun will, wechselt öfter. Deutlich öfter.
Sagt das Internet.
Nur: stimmt das überhaupt?
Es gibt Studien, die eine „Badewannenkurve“ beim Verschleiß nahelegen. Demnach gäbe es nicht nur zu lange, sondern auch zu kurze Wechselintervalle. Der Mechanismus dahinter sei, daß ZDDP und Detergentien im Öl in Konkurrenz um die Metalloberflächen stehen, und es nach einem Ölwechsel eine gewisse Zeit brauche, bis sich der „endgültige“ Tribofilm (wieder) herausgebildet habe. Der meiste Verschleiß fände also nach dem Ölwechsel statt, sobald sich ein stabiler Tribofilm wieder herausgebildet habe ginge der Verschleiß dann gegen null. Erst, wenn das Öl durch chemische Alterung oder Schmutzeintrag seine Lebensdauer überschreite, stiege der Verschleiß wieder an. Das dann allerdings extrem.
Dann bestünde der Schaden „sinnlos häufiger“ Ölwechsel nicht nur in den Mehrkosten für ein paar Filter und ein paar Liter Öl, sondern auch in einer reduzierten Haltbarkeit der Maschine.
Hier muß allerdings angemerkt werden, daß der Mehrverschleiß eines unnötigen Ölwechsels marginal ist gegenüber den katastrophalen Schäden, die verschlammte Ölkanäle, mit Ölkohle zugesetze Ansaugsiebe der Ölpumpe oder Rücklaufleitungen des Turboladers zur Folge haben können, oder gegenüber dem, was Ruß und Abrieb mit einer Steuerkette oder einer Lagerschale anfangen können, wenn Öl und Filter das „zusammenballen“ über eine gewisse Größe hinaus nicht mehr verhindern können.
Zu lange Ölwechsel sind also gefährlich, soviel ist unverändert klar. Aber wenn an der Badewannentheorie etwas dran ist, dann müßte ein verantwortungsvoll verlängertes Ölwechselintervall, bei dem das Öl nicht bis zum „kippen“ gefahren wird, ja noch besser sein als kurze Intervalle. Nicht nur unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten, sondern auch absolut.
Wie schon hier und hier angedeutet war Schneewittchen das Versuchskaninchen. SAAB-Scania schrieb bei frühen 900 turbo 16 Ölwechsel nach 7500km vor, bei erschwerten Betriebsbedingungen nach der Hälfte. Werksvorgabe sind aber auch frühe, mit nicht besonders stabilen VI-V vollgepumpte 10w-30 oder 10w-40-Öle, die nach heutigem Stand als bestenfalls qualitativ eher mau bezeichnet werden können.
Mit den synthetischen (gleich ob nun PAO, HC oder GtL…) 0w-40 und 0w-30, die das Auto seit nunmehr weit über 200.000km sieht haben wir uns von der Werksvorgabe schon deutlich entfernt. Konsequenterweise werden auch die Wechselintervalle deutlich überzogen: 10.000km klingen für heutige Ohren nicht viel – aber eigentlich überziehe das Intervall damit auch schon um ein Drittel. Und wie alle bisherigen Analysen zeigen, geht das auch gut. Aber: wie weit kann man das treiben?
Nachdem die letzten beiden Gebrauchtölanalysen recht optimistisch stimmten war der Entschluß gefallen, das Intervall zu verdoppeln. Ob Verdoppelung 15 oder gleich 20 Megameter bedeute, behielt ich mir vor spontan nach optischem Eindruck, Ölverbrauch und Bequemlichkeit (als moderne Mensch hat der Autor ja nie und für nix Zeit…) zu entscheiden.
Drei Monate nach der letzten Analyse waren gut 9000km hinzugekommen. Und nochmal zweieinhalb Monate später hat der Verfasser Eures Lieblingsblogs nun endlich die Zeit gefunden, die schon vor geraumer Zeit angekündigten Ergebnisse öffentlich zu machen:
19236km war das Shell Helix Ultra 0w-30 Professional AV-L jetzt im Motor.
Was sehen wir: auf den km bezogen hat sich am Eisen-Verschleiß so gut wie nix geändert. Bei den anderen Verschleißmetallen scheint es tatsächlich so zu sein, daß der Verschleiß pro km im weiteren Verlauf des Intervalls abgenommen hat – mit der Ausnahme von Blei, das stärker als erwartet angestiegen ist.
Allerdings kommt die TAN der TBN schon recht nahe, der Viskositätsinex hat abgebaut und das Öl ist eingedickt. Letzteres dürfte zum Großteil auf das Verdampfen leichterer Fraktionen und nicht auf chemische Reaktionen zurückzuführen sein – sonst müßten wir hier auch ganz andere Werte bei Oxidation, Nitration und Sulfation sehen.
Ölverbrauch war übrigens zwar deutlich festellbar, belief sich aber auf weniger als einen Liter – über dieses Intervall wurde kein Tropfen nachgefüllt.
Ebenfalls auffallen wird dem ein oder anderen unter uns, daß sich die Additivkonzentration erhöht hat. Dazu mag es zwei Erklärungen geben: zum einen wird es es eine gewissen Verdampfungsverlust gegeben haben, zum anderen gibt es Meßtoleranzen. Das sollte uns auch an die Grenzen und den Verwendungszweck einer Ölanalyse erinnern und uns mahnen, in die Verschleißwerte nicht allzuviel hineinzuinterpretieren: 5mm/kg mehr oder weniger Eisen oder Kupfer auf 10.000 oder gar 20.000km sagen erstmal gar nichts aus. Wenn aber plötzlich eine fünf- oder zehnfache Menge da ist, dann ist es an der Zeit, sich Sorgen zu machen und der Ursache auf den Grund zu gehen.
Fazit: mit diesem Motor und diesem Fahrprofil kann man mit diesem Öl auch 20.000km-Intervalle fahren. Wesentlich weiter würde ich es aber mit Hinblick auf die TAN nicht treiben.
Und wenn wir uns jetzt noch daran erinnern, daß mein Fahrprofil nur wenige Kurzstrecken, aber viele moderat gefahrene Mittel- und Langstrecken beinhaltet und somit als überdurchschnittlich günstig angesehen werden kann, dann folgt daraus eben nicht, daß das auch mit einem billigen Mineralöl im Stadtverkehr gehen muß. Ganz im Gegenteil: wer kein so günstiges Fahrprofil hat, der ist mit „kurzen“ Intervallen auf der deutlich sicheren Seite.
PS: Wie ein Mann w712/80 nach 19236km aussieht, seht Ihr hier.
*Das war übrigens schon immer so. Früher war auch früher schon alles besser. Und aus Holz.
Pingback: Ölfilterobduktion: Mann W712/80 nach 19.236km | Schneewittchensaab
Schöner Beitrag mit den richtigen Schlüssen und Deutungen. Bei deinem Fahrprofil habe ich solch ein Ergebnis erwartet. Der Hinweis auf Messtoleranzen ist gut, aus meiner damaligen beruflichen Erfahrung kamen bei der zweimaligen Analyse derselben Ölprobe – wenn eh wenig mg festgestellt wurden – auch berichten, dass da schon mal 20-30% Abweichung drin war…
Sehr interessanter Beitrag und unterhaltsam geschrieben.
Wie problematisch siehst Du das Alter eines Filters? Hintergrund: Mein Fahrprofil ist viel Kurzstrecke und früher wechselte ich jährlich (Saisonfahrzeug). Da mittlerweile pro Saison nur noch 2500km zusammenkommen, wechsle ich nur noch alle 2 Saisonen. Der letzte Wechsel war am 17.11.2018 und seitdem genau 4995km gelaufen. Einen Ölwechsel will ich schon machen, aber könnte man den Ölfilter (Mann W930/21) noch guten Gewissens weiterverwenden? Hab blöderweise vergessen einen zu bestellen und im Fachhandel bekommt man momentan als Privatmann nichts. Hab heute schon einen neuen Filter bestellt, aber interessieren würde mich deine Einstellung dazu trotzdem.
Besten Dank, guten Rutsch und viele Grüße,
Erwin
Das Papier eines gebrauchten Ölfilters ist schon merklich spröder und deutlich reißfreudiger als das eines unbenutzten. Ob nun das Öl oder die Temperatur dabei der ausschlaggebende Faktor ist, weiß ich nicht.
Länger als zwei Intervalle würde ich persönlich das Filter also nicht drinlassen – jedenfalls nicht bei einem klassischen Filteraufbau. Bei einem Filter mit synthetischem Filtermedium wie z.B. einem Fram Ultra (hab ich in Europa noch nie gesehen…) hätte ich wohl weniger Bedenken.