Schraub in den Mai

Turbolader werden heiß, wenn man sie fordert. Krümmer, Turbo und Flammrohr leuchten bei einem frühen 900, der gerade ein paar Kilometer Dauervollgas hinter sich hat, nicht nur rot, sondern gerne auch einmal orange bis gelb.
Diese thermische Belastung ist nicht nur der Grund für die lächerlich kurzen Ölintervalle und die Vollsynthetik-Empfehlung, sie sorgt auch dafür, daß die Gehäuse der Garrett-Lader früher oder später so spröde sind, daß sie schlicht und einfach reißen. Schneewittchens Lader hatte bei 410.000 Kilometern noch ein einwandfreies Laufzeug (konsequentem Warm- wie auch wieder Kaltfahren und dem obligatorischen Nachlaufenlassen sei Dank) – durch das Gehäuse konnte man aber durchschauen.
Bei der Revision letzten Herbst feierte dann auch konsequenterweise ein Tauschlader sein Debut.

Einmal wurden in der Einfahrphase die Muttern, die Turbolader und Krümmer verbinden, schon nachgezogen. Durch die Hitze längen sich die Schrauben, das Ganze muß sich erst setzen. Dabei war der Wagen aber noch nie über einen längeren Zeitraum voll belastet woren.

Die einleitend angespochene Hitze forderte nun, ein Dreivierteljahr später, ihr erstes Opfer. Nach der Revision mußte der Wagen erst eingefahren werden. Dann kamen die Winterreifen, und dann der Winter.
Wirklich gefordert wurde dat Schneewittchen also nicht. Dann kam der Frühling, und mit ihm die Sommerreifen. Die erste längere Vollgasfahrt quittierte die kleine Zicke mit einem gerissenen Auspuff. Die zweite verlief problemlos und ohne Komplikationen, wenn man vom schmerzenden Schultergürtel des Kraftfahrers einmal absieht (der 900 ist für einen Fronttriebler unheimlich agil – der Preis dafür ist, daß er jeder Fahrbahnunebenheit nachläuft. Das fordert bei Geschwindigkeiten über 200 eine sehr feste Hand.)
Bei der Dritten jedoch, am letzten Aprilwochenende, da wurde es laut. Das ist es im 900 bei höheren Drehzahlen ja immer, aber die Autobahn hatte ich gerade hinter mir gelassen und cruiste mit knapp über 1000 Umdrehungen im vierten oder fünften Gang lässig durch das abendliche München. Gut, auch da ist ein 900 laut – aber nicht so laut. Und er klingt kraftvoll und entspannt und blubbert, aber er scheppert dabei nicht, und in den Ohren wehtuen darf er auch nicht.
Außerdem lief der Motor wie der sprichwörtliche Sack Nüsse und war nur mit Mühe vom absterben abzuhalten, und es stank füchterlich nach Sprit.
Alles klar, irgendwo ist da was undicht, und er pumpt sich in der Teillast gerade Frischluft vor die Lambdasonde. Die fettet dann gnadenlos an, deshalb der Gestank und der bescheidene Lauf.
Der nächste Morgen bestätigte den Verdacht: eine Mutter an den oben angesprochenen vier Schrauben zwischen Krümmer und Turbo war wohl auf der A8 geblieben, eine schien locker… nichts wildes, schrauben wir das halt wieder fest und dann ist gut.
Samstag morgen morgen brachte ich einen Freund zum Reifenhändler/Schrauber, und während dieser den fürchterlich langweiligen Wolfsburger Dienstwagen abholte, sollten die Jungs mal eben schnell den Turbo wieder festschrauben. Werkzeug habe ich nämlich immer dann nicht dabei, wenn ich es bräuchte. Und wenn ich es dabei habe, passiert nichts.

Auf dem Rückweg war der Wagen immer noch undicht. Alles muß man selber machen…
Im Münchener Umland rekonstruiert Marc gerade einen March M1. Der hat Werkzeug, außerdem wollten wir uns eh bei ihm treffen.
Bis hierhin verlief alles nach Plan.

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Kleiner Appetithappen. Der Artikel zum Auto folgt irgendwann...

Gar nicht mehr nach Plan verlief dann der Rest des Abends. Mit festschrauben war es nämlich nicht getan: die Stahldichtung war nur noch zur Hälfte da. Ein Drittel fanden wir hinter der Batterie, und der Rest hatte sich wohl über die A8 verteilt.
Auf das Erstaunen, wie es eine Stahldichtung so zerreißen kann folgte bald die Ernüchterung: in Bayern ist es nach 13:00 Uhr völlig unmöglich, ein Ersatzteil zu bekommen. Die Lkw-Notdienste hätten zwar T3-Dichtungen gehabt – aber außerhalb der Öffnungszeiten dürften sie die nicht abgeben. Im zivilisierten Teil Deutschlands war es da noch nicht einmal 18:00 Uhr. Das war aber egal. Da müsse man wohl bis Montag warten… Daß es auch Menschen gibt die -welch Frevel- mit Anfang 30 noch nicht verheiratet sind, so daß sie die gutkatholische Ehe- und Hausfrau während der Arbeitszeit einkaufen schicken könnten und dann auch noch außerhalb Bayerns wohnen und arbeiten – ja, das scheint die bayerische Gesellschaft wohl etwas zu überfordern.
Merke: bei den bayerischen Barbaren besser keine Panne haben. Zumindest nicht Samstags.

Es sah nicht gut aus. Und mit jedem geführten Telephonat – der Akku neigte sich bedrohlich dem Ende seiner Ladung zu – wurden Lage und Stimmung verzweifelter.
Und dann, ganz plötzlich, zeigte das große Wunder unserer Zvilisation seine segensreiche Wirkung: das internet. Im Saabforum hatte ich um Hilfe gebeten, und kurz darauf kam eine sms mit einer Telephonnummer. Man kenne da jemanden, der könnte das in der Garage haben… Einen Anruf später nehme ich Alex die Autoschlüssel ab und mache mich in seinem alten Fünfer auf den Weg. Nach neunundreißig Kilometern klingel ich an einer wildfremden Haustüre – in der Auffahrt stehen ein alter Ami und ein mit einer Plane abgedecktes 900er Cabrio. Mit Dichtung geht es zurück, Marc hat in der Zwischenzeit schon angefangen zu schrauben.

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Das entpuppt sich als ziemliche Qälerei. Das Wort „unzugänglich“ beschreibt die Situation ziemlich gut. Kaum Platz, einen Schlüssel anzusetzen, geschweige denn ihn zu bewegen. Für die Ratsche ist weder mit noch ohne Verlängerung Platz. Genau dafür hatte ich mir beim Vorgänger einen Satz Ratschenschlüssel zugelegt und zurechtgebogen. Die lagen im Werkzeugkasten. Der steht in der konspirativen Tiefgarage.
Und wir befinden uns in der bayerischen Provinz.

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Kurz nach Mitternacht ist Marc fertig. Eigentlich, ja eigentlich wollte er heute die Lenksäule in den M1 einbringen und die Schalensitze ausmessen. Eigentlich wollten wir anderen dann auch noch in München weggehen. Eigentlich.

Vom Vorwurf der Barbarei, den ich oben geäußert hatte, muß ich zumindest die bayerischen Autoschrauber freisprechen.
Lieber unbekannter Dichtungsspender, lieber Alex, lieber Marc: wenn es Euch nicht gäbe, man müße Euch erfinden.
Danke!

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Das Leben ist zu kurz für langweilige Autos.
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5 Antworten zu Schraub in den Mai

  1. Der Kutscher schreibt:

    Dir geb ich gleich alten Fünfer du Aas! 😀

  2. turboseize schreibt:

    Wat denn?

    Ja isso!

    😀

  3. Pingback: Altes Auto im Alltag: Zwischenbilanz nach fünf Jahren und 209.000km | Schneewittchensaab

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