Danke, Turbo-Pelle

 

Die Firmengeschichte von Saab ist reich an Anekdoten. Eine davon geht so: Als einer der ersten Saab-Versuchswagen mit Turbo-Motor auf Erprobungsfahrt war, drohten die verwegenen Pioniere aus Trollhättan ausgerechnet in der Höhle des Löwen aufzufliegen. Denn der Turbomotor fing Feuer. Und zwar nicht irgendwo, sondern auf der Straße direkt vor der Volvo-Fabrik in Torslanda. Ein hilfsbereiter Volvo-Pförtner eilte mit einem Feuerlöscher herbei und half den Saab-Ingenieuren, den Brand zu löschen. Über die Ursachen erfuhr er nichts. Saab gelang es, sein Geheimkommando Turbo bis zuletzt vor dem schärfsten Konkurrenten in Göteborg geheim zu halten.

Der brennende Saab vor den Volvo-Toren war nicht der einzige. Zeitweilig, so heißt es, stand das Saab-Betriebsgelände voller Autos mit verkohlten Motorhauben. Der Mann hinter diesen Hauben war Per Gillbrand. Als Chef der Motorenentwicklung experimentierte Gillbrand seit 1970 mit seinem Kollegen Bengt Gadefeld daran, den Turbolader für PKW-Motoren zu zähmen. Ungezählt sind die Motoren, die Gillbrand am Anfang um die Ohren flogen, weil der Ladedruck viel zu hoch war. Das Management stoppte daraufhin kurzerhand die Turboentwicklung. Doch Gillbrand entschloss, heimlich hinter dem Rücken der Geschäftsführung weiterzumachen. Typisch Saab.

1976, als Saab einmal mehr vor dem Konkurs stand, war der Turbomotor fertig. Als der Saab PKW-Chef Sten Wennlo die Motorenentwickler fragte: „Habt ihr nicht was für mich?“, drückten sie ihm den Zündschlüssel des Saab Turbo in die Hand. Wennlo fuhr los und war begeistert. Kurze Zeit später rief er von einer Wurstbude in Trosa in der Motorenentwicklung in Södertälje an: „Das ist er, den will ich haben.“ Hals über Kopf wurde die Markteinführung geplant. Alle Mitarbeiter wurden aus dem Urlaub zurückgerufen – wie so oft bei Saab. Turbo oder Tod war die Devise. Und tatsächlich rettete der Saab Turbo den ganzen Konzern. Wiederum eine Anekdote am Rande: Der erste Saab Turbo wurde an einen Wurstbuden-Besitzer in Trosa ausgeliefert.

Die Motorentwicklungsabteilung unter Per Gillbrand war stets die Aristokratie in der eigenwilligen und chaotischen Saab-Hierarchie. Gillbrand und sein Team machten ausgerechnet den Branchenzwerg Saab zum Schrittmacher des Fortschritts, auch und vor allem mit der intelligenten Motorsteuerung Trionic. Dass es Ende der 1980er in der nächsten großen Saab-Krise überhaupt noch Investoren gab, die bereit waren, den finanziell maroden Hersteller aufzufangen, lag vor allem an der Reputation der Saab-Motorenentwicklung. Ob Mazda, Ford, Fiat oder General Motors: Sie alle wussten, dass die verrückten Schweden herzlich wenig davon verstanden, wie man ein Auto so baut, dass man damit Geld verdient. Aber vom Motorenbau verstanden sie verdammt viel! Früher als viele andere hatte Gillbrand die Bedeutung von Abgasreinigung und Ressourceneffizienz erkannt. Saab-Motoren waren sparsamer als die Konkurrenz und zugleich leistungsfähiger, und sie waren viel, viel sauberer. Als mit dem 9000 Aero der stärkste Saab aller Zeiten vorgestellt wurde, kommentierte die F.A.Z.: Die Alternative zum Dreiliter-Auto.

Gillbrand war ein unermüdlicher Kämpfer für Intelligenz statt Hubraumprestige. In der Werkszeitschrift „Neues vom Troll“ schrieb er 1990: „Intelligenter ist besser! Nach dieser Devise arbeiten wir bei Saab seit über 50 Jahren. Daher bauen wir heute andere Autos als die anderen. Wir bauen Autos für denkende Menschen! Das ist nicht immer ganz einfach und lässt sich vor allem oftmals nicht so einfach verkaufen.“

Auch damit hat er leider Recht behalten. Und wie kein anderer stand Gillbrand für die Philosophie von Saab und alles, was diese wundervolle Firma so besonders machte. Der Tüftler- und Erfindergeist, das stetige Streben nach der besten technischen Lösung, Wagemut und Rebellion im Dienste der Ingenieurskunst. Gäbe es einen Oscar für Motorenentwickler: Turbo-Pelle hätte ihn verdient. Gäbe es einen Nobelpreis für Automobilingenieure: Turbo-Pelle hätte ihn verdient.

Am 30. November ist Per Gillbrand gestorben. Unbestätigten Gerüchten zufolge zuckten im Moment seines Todes auf der ganzen Welt für einen kurzen Moment die Ladedruckanzeigen aller Saab Turbos.

Sebastian alias NIHsyndrom ist Saabfahrer. Er schreibt meist über die kleinen Freuden und Erlebnisse mit Menschen und Autos, die den Saabfahreralltag so besonders und liebenswert machen – womit er bis vor kurzem aber fast ausschließlich die Mitglieder des weltbesten Saabforums erfreute.
Als ich bei Teknikens Värld die Nachricht vom Tode Gillbrands las war mir sofort klar, daß ich den Vater aller modernen Benzinmotoren angemessen würdigen mußte. Nachdem ich aber Sebastians Nachruf las verließ mich der Mut. Dankenswerterweise sprang Sebastian für mich ein und stellte den Text zur Verfügung. Das ist sein erster Gastbeitrag hier auf turboseize. Möge es nicht der letzte gewesen sein – aber möge es in Zukunft schönere Anlässe geben.

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