Wie man günstig feudal Auto fährt

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Saab 9000 Griffin. Die Definition des automobilen Flops: dem Vernehmen nach sollen keine 200 Stück in Deutschland verkauft worden sein. Nicht wegen der Qualität(en) des Wagens, nein, weil GM schon damals nicht verstanden hatte, wie man eine Marke führt, und erst recht nicht, was es heißt, wenn man es mit gutverdienenden, aber etwas seltsamen Freigeistern als Kundschaft zu tun hat.

Anfang der 90er Jahre gönnte Saab dem schon 1985 auf den Markt gekommenen 9000 ein Facelift. Damit verlor der Wagen zwar die klaren, italienischen Linien, die Giugiaro ihm gezeichnet hatte, er gewann aber eindrucksvoll an Solidität. An einem späten 9000 knarzt, klappert und knirscht nichts mehr, von den recht groben Spaltmaßen einmal abgesehen war man damit tatsächlich in einer Liga mit der süddeutschen Konkurrenz. Ausstattung und Materialqualität waren bei Saab eh immer schon ohne Tadel.

GM fand allerdings, daß man, wenn man schon ein Auto in der Preisklasse von DM 50.000 bis DM 90.000 anbietet, man unmöglich als Topmotorisierung einen Vierzylinder anbieten könne. Sechs müßten es im Premiumsegment schon mindestens sein. Daß Saabs aufgeladene Vierzylinder phantastische Fahrleistungen boten (bis zu 245km/h waren Anfang der 90er noch ein Wort), dank des Drehmomentplateaus von 330Nm von 1900 bis 5500/min eine unerhörte Elastizität, daß man das gleiche Auto, das eben noch als Autobahnexpreß auf der linken Spur mit acht- und zwöfzylindrigen Bayern und Schwaben mitschwamm aber, wenn einem der Sinn danach stand, auch mit deutlich unter acht Litern auf hundert Kilometer bewegen konnte: das reichte GM nicht. Daß der typische Saabkunde bereit war, viel, viel Geld auszugeben, um eben nicht einen süddeutschen Sechs- oder Achtzylinder fahren zu müssen, sondern ein mit fortschrittlicher Technik – die Trionic war z.B. die erste 32-bit Motorsteuerung der Welt, völlig frei programmierbar, und Klopferkennung über Ionenstrommessung im Plasma konnte Saab damals schon, Porsche und BMW erst zwei Jahrzehnte später…- also, ein mit fortschrittlichster Technik vollgestopftes Symbol der Avantgarde fahren wollte: das hatte GM einfach nicht verstanden.

Es sollte neben dem 9000 aero ein zweites Topmodel etabliert werden: der Griffin.

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Statt des formal eigenwilligen Fließhecks der CS- bekam der Griffin das konservativere Stufenheck der CD-Variante, einen mit allem, was die Aufpreisliste hergab vollgestopften Innenraum – mir fiele aus dem Stegreif nichts ein, was man noch hätte dazubestellen können – mit edlem Anilinleder und raummeterweise Wurzelholz, und vor allem einen Sechszylinder mit Automatikgetriebe. Kurz: dem avantgardistischen, sportlichen Aero stellte man den konservativeren, ganz auf Komfort ausgerichteten Griffin zur Seite, um so einen weiteren Käuferkreis anzusprechen.
Nur: das funktionierte nicht. Für die Saabfahrer war der Wagen zu konservativ: biederes, unpraktisches Stufenheck, v6 von Opel – das sollte ein Saab sein? Und für die konservativere Zielgruppe war der Wagen aber immer noch ein Saab, tauchte mithin meistens auf dem geistigen Radarschirm sowieso nicht auf und falls doch, so war ein Saab zweifellos etwas für leicht spinnerte Individualisten.

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An der Einschätzung der Neuwagenkäufer hat sich auch heute, wo der 9000er in den Niederungen des Gebrauchtwagenpreistales angekommen ist und sich langsam seinen Platz als Youngtimer erarbeitet, nichts geändert.
Der zwar im Detail fortschrittliche, im Grundlayout aber recht konventionell (Mc-Phersonvorderachse, Frontmotor quer) konstruierte 9000 hat es unter seinen älteren, auch technisch eigenwilligen Saabbrüdern mit seiner Fiatverwandschaft eh nicht leicht, und dann sitzt sogar noch das Zündschloß an der falschen Stelle. Und unter den ungeliebten, aber wegen ihres Nutzens aber mittlerweile doch hinter vorgehaltener Hand geschätzten 9000ern ist der Griffin immer noch der unbeliebteste.
Wenn man 9000er schon weit unter Wert kaufen kann, wie billig muß dann erst ein Griffin sein?

Februar 2012: Ein Auto wechselt den Besitzer. Es hat ein paar Macken, der Auspuff ist undicht, die Automatik zickt gelegentlich, die Klimaanlage kühlt trotz Neubefüllung nur die ersten 30 Minuten, die Traktionskontrolle funktioniert nur, wenn sie will (aber wenn sie schmollt, stört sie wenigstens nicht), und der Windschutzscheibenrahmen blüht, offensichtlich als Folge eines Scheibentausches beim Schnellglaser. Vorne links stimmen die Spaltmaße nicht, wahrscheinlich war da mal etwas im Weg. Über die Historie ist nicht viel bekannt, ein älterer Herr hatte ihn für sich selber gekauft, aber kaum genutzt und dann weitergegeben, vor dem Verkauf bei 201.000km aber noch eine Inspektion mit Zahnriemenwechsel machen lassen. Der nächste Besitzer war Student und wollte mit dem Wagen zwischen Studien- und Heimatort pendeln, gab das Studium aber schnell auf, und so kaufte ihn kurzentschlossen ein Arzt, der damit ein halbes Jahr von der Landeshauptstadt in jenes Provinzdorf pendelte, von dem einst Brecht sagte, das beste daran sei der Zug nach München. Der Arzt hatte sich um die eine oder andere Kleinigkeit gekümmert, fand aber einen richtigen 9000er reizvoller, und so wurde der Wagen, als sich die nächsten Zipperlein meldeten, weiterverkauft.
Ein großer Wagen, etwas Patina, aber immer noch mit einer zurückhalten, gravitätischen Ausstrahlung. Aus anderthalb Metern Entfernung sieht man die Macken auch nicht mehr. Alf Cremers würde ihn mögen.

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Kilometerstand Februar 2012: 215709,
Kaufpreis: Dagernova Spätburgunder, Dernauer Klosterberg, 2008.
Von DM 87.200,- im Oktober 1995 auf 6,99€. Wie tief kann ein Auto sinken?

Es wurde danach fleißig Öl gewechselt, der Beifahrerfußraum geschweißt, konserviert, und der Automatik das Zicken durch Ölwechseln versucht abzugewöhnen. Was da raus kam hatte mehr Ähnlichkeit mit Teer als mit rotem ATF, und die Zickigkeit nahm nach dem Wechsel sogar noch zu: offensichtlich war der Steuerblock verdreckt. Ansonsten ging es dem Getriebe gut, Abrieb war weder im Filter nich am Magneten festzustellen. Dann arrangiert man sich halt damit, hochschalten konnte sie ja, auf der Autobahn braucht man eh nur den höchsten Gang, und wenn man in die Stadt fuhr schaltete man halt mit dem Wählhebel manuell. Ein Bremssattel wurde getauscht, viel Öl und ATF gewechselt, und dazwischen hin und wieder etwas Kleinkram auf Vordermann gebracht, so daß der Gutachter nach einer kurzen und für das Reh recht unerfreulichen Begegnung des Autos mit selbigem dem Wagen einen außergewöhnlichen Pflegezustand und einen Wiederbeschaffungswert von 2000€ attestierte. Dazwischen fuhr das Auto einfach nur.

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Und wie es fuhr! Kurven mag der 9000 ja schon von Natur aus nicht, aber geradeausfahren kann er. Beim Griffin ist das alles noch extremer: der schwere Sechszylinder auf der Vorderachse vereitelt jeden Versuch von Querbeschleunigung schon im Ansatz, die Kombination aus drehzahlgierigem Sechszylinder und schnell hochschaltender, auf Komfort getrimmter Automatik läßt den Wagen eigentümlich träge erscheinen. Von den 211 Pferden merkt man nichts. Schwer und behäbig fühlt er sich an, fehlte da nicht der Stern und wären die Sitze nicht so gut, man könnte sich fast in einem alten Mercedes wähnen. Der klassische schwere Wagen, der, soll es einmal beherzter vorangehen, zu fragen scheint: wollen Sie das wirklich?, um dann, wenn die Gänge sortiert und die Drehzahl deutlich über 4000 ist, mit erstaunlich sportlichem Klang richtig zuzulegen. So behäbig sich der Wagen in der Stadt und auf der Landstraße gibt, so nachdrücklich und mühelos geht es voran, hat die Tachometernadel einmal die 160 km/h überschritten.
Die unpraktische und biedere Stufenheckform hält aber dank ihres nur von einer Durchlademöglichkeit für den Skisack unterbrochenen Stahlschotts jedes Dröhnen, das Kombis und Fließhecks eigen ist vom Fahrgastraum fern.
Die wahre Domäne des Griffin ist die Autobahn. Nächtliches Kilometerfressen auf der Langstrecke, um dann am entfernten Ziel nicht sofort auszusteigen, sondern noch einige Sekunden sitzenzubleiben und zu bedauern, daß die Fahrt schon vorbei ist.

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Bis Oktober. Da standen dann 263.000km auf dem Tacho. Der Zahnriemen war wieder fällig, zwischendurch hatte ein Begrenzungsstein deutliche Spuren an einer der Fondtüren und einem Radlauf hinterlassen, die Automatik zickte auch zwei Flüssigkeitswechseln später immer noch und auch die Klimaanlage stellte sich allzuoft quer.
Im Gegensatz zu Februar, wo sich beim Kauf noch 15 Liter im Tank befunden hatten, war aber jetzt der Tank randvoll und 20 weitere Liter warteten im Reservekanister auf Ihren Einsatz.
130 Euro ist das dem nächsten Besitzer wert, der, in vollem Bewußtsein der wirtschaftlichen Unsinnigkeit, sich einmal wieder ein schönes Auto gönnen möchte, und wenn es ein längerfristiges Projekt wird, dann ist das eben so. Verdient hätte es der Wagen allemal.

Zurück zum Titel.

Bilanz:
Kaufpreis: Flasche Wein, 6,99€, dabei an Bord 15 Liter Sprit im Gegenwert von ca 24€
Verkaufspreis: 130€, an Bord 80 Liter Sprit im Gegenwert von ca 128 €
Werkstattkosten: ca 2000€
Steuern/Versicherung: ca 800€
Kraftstoffverbrauch in Litern auf 100km: super ca 9, e85 ca 12
gefahrene Kilometer: 48.000 in 8 Monaten

Kosten pro Kilometer: 19,4 ct.
Verrät mir jetzt mal bitte jemand, weswegen sich manche Leute neue Kleinwagen kaufen? Ohne offenporiges Leder? Ohne Tempomat? Ohne Sitzheizung? Ohne elektrische Sitze mit memory? Ohne (echtes) Wurzelholz? Ohne Leseleuchten im Fonds? Ohne beheizte Außenspiegel? Ohne 211 PS?
Ohne Stil?

Ich verstehe es nicht.

Über turboseize

Das Leben ist zu kurz für langweilige Autos.
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19 Antworten zu Wie man günstig feudal Auto fährt

  1. haukef schreibt:

    😉
    Sonderausstattungsliste wie bei meinem Daimler DoubleSix damals : “ Anhängekupplung “ Ende der Wahlmöglichkeiten, héhé …
    Sehr schöner Beitrag, sehr schön. Elastizität wie meine Transporterkutsche aus Göteborg’schen Produktionshallen, ja ? Volles Drehmoment von 1 700 U/min bis Ende 🙂 Nur, dass sich der meinige mit 8 Litern nur im Leerlauf betreiben lässt. Tee. Fünf.

    R
    .
    😉

    • turboseize schreibt:

      Du fährst ovloV? T5 ist natürlich was äußerst feines.

      Die Saabvierzylinderturbos reagieren sehr sensibel auf Gaspedal und Einsatzbedingungen. Deutlich zweistellig ist recht einfach zu erreichen, dann ist man aber entweder a) in der Stadt oder b) weit jenseits der StVO unterwegs. Bei 120 km/h Konstantfahrt bleibt ein 9000 aber eben unter 8. Wenn man es drauf anlegt geht auch noch viel, viel mehr bzw weniger: Als mich ein Freund aus dem Bundesland zwischen der großen Stadt und dem Land mit dem durchgestrichenen O zum 24-h-Rennen besuchte, da hatte er er auf der Hinreise offensichtlich zuviel Zeit, oder überholen war ihm zu stressig, oder vielleicht war er einfach nur übermütig: ein Einreihen in die Lkw-Schlange auf der rechten Spur brachte eine *fünf* vor dem Komma. Das ist schon krass, wenn man sich vor Augen hält, was 1992 Stand der Technik war…

      Das dürfte ein weiterer Grund für den Flop des Griffin sein:
      Die Vierzylinder waren stärker, schneller und beschleunigtem mit ihrem brutalen Drehmoment aus jeder Lebens- bzw Drehzahllage.
      Der v6 hat nur ca 270NM, aber auch erst über 4200/min… Das ist ein sehr feiner Drehzahlmotor. Handgerissen an einem Hecktriebler macht der sicher Laune – in einem auf Komfort getrimmten absolut fahrundynamischen Autobahnschiff, mit einer sehr auf komfort und niedrige Drehzahlen bedachten Automatik könnte man ihn für Fehl am Platze halten.
      Leise kann er (und auch schreien, aber nur, wenn man es drauf anlegt – im Drehzahlkeller ist er wirklich flüsterleise). Laufruhe kann er ganz hervorragend.
      Aber fahren können die Vierzylinder besser, und lustige Verbrauchszahlen auch.
      Einmal habe ich den Griffin auf 7,9 bekommen, bei einem Vierzylinder hätte bei der gemütlichen Bummelei wohl ganz sicher die sechs vorne gestanden. Dafür eskaliert er bei scharfer Fahrt nicht so: mehr als 12 Liter super habe ich auch mit Gewalt nicht durch die Düsen bekommen.

      Die Werksangabe sagt 17 Liter in der Stadt (haut hin, fahre ich aber nie) und 8,6 Liter bei Konstantfahrt 120 km/h. Das haut auch hin, sogar mit vier Personen und viel Gepäck.
      Ein 2,3er turbo, handgeschaltet, läge da bei 7,9.

      Insofern ist immer noch nachvollziehbar, warum die Erstkunden den v6 nicht nur aus dogmatischen, sondern auch Vernunftgründen rechts liegen gelassen haben. So schlimm wie alle tun ist der v6 aber deshalb auch nicht. Im Gegenteil, mit dem X30XE ist Opel ein wirklich feiner Motor gelungen, der tatsächlich seinen eigenen Charme hat.

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